Ich bin neu hier
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Eigentlich hatte ich nur wenig Kontakt mit Tischlern, Zimmerleuten und überhaupt mit handwerklichen Berufen. Mein Vati war ein begnadeter Elektronikingenieur und -bastler, meine Mutti arbeitete vorwiegend im Büro. Die Wanderschaft gab es in Grimms Märchen ‘Hans im Glück’. Dann aber sah ich eines Tages in der Dresdner Straßenbahn einen stattlichen Wanderburschen. Er trug die volle Montur – Schlaghose, Weste mit Knöpfen, Jacke, weißes Hemd, Hut und das typische Stöckchen mit verknotetem Beutel. Ich wusste damals schon, dass darin wohl alle Habseligkeiten sein sollen, die man auf der jahrelangen Tippelei dabeihat, konnte mir das aber natürlich nicht vorstellen. Der Junge schien direkt aus meinem Märchenbuch zu stammen!
Viele Jahre später – ich war in der Zwischenzeit aufs Land gezogen, kannte dort den örtlichen Tischler und arbeitete als Assistentin eines sehr vielseitigen Professors in dessen Büro in Radebeul – lernte ich den Zimmermann und Studenten Paul Neumann kennen, der jetzt Bauingenieur werden wollte und in unserem Büro seine Diplomarbeit schrieb. Als er im Herbst 2014 den Abschluss in der Tasche hatte, verabschiedete er sich von uns und ging im Januar 2015 auf die Wanderschaft. Das gab es also tatsächlich noch, und irgendwie fühlte ich mich auf einmal als Teil dieser zauberhaften jahrhundertealten Tradition! Von ihm erfuhr ich, dass es verschiedene Vereinigungen gibt, die unterschiedliche Regeln haben. Paul hatte sich der Gesellschaft Freie Vogtländer Deutschlands angeschlossen. Das Büro schenkte ihm zum Abschied ein Büchlein über das Gesellensein und wünschte ihm Glück. Wir hörten dann längere Zeit nicht viel von Paul. Eines Tages aber bekamen wir eine Postkarte, dass er nun bald nach Hause käme. Er hatte uns also nicht vergessen! Doch auch bei uns war in der Zwischenzeit einiges passiert, und Paul sollte das erfahren. Aber dazu musste ich ihn erst mal finden.
Der vielseitige Professor namens Wolfram Jäger kümmerte sich damals bereits seit einigen Jahren um Schloss Steinort im heutigen Ostpolen. Dessen letzter deutscher Besitzer Heinrich von Lehndorff wollte am 20. Juli 1944 gemeinsam mit einigen anderen ursprünglich vom Nationalsozialismus überzeugten Militärs einen Umsturz und Neubeginn schaffen und Hitler beseitigen. Schloss Steinort wurde zum Schauplatz eines ‘Doppellebens’, da einerseits Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop sich mit seinem Gefolge 1941 dort einquartiert hatte, andererseits Lehndorff und seine Frau Gottliebe an den Vorbereitungen des Attentats in der nahegelegenen Wolfsschanze beteiligt waren. Das Attentat missglückte, Lehndorff wurde – wie viele andere – hingerichtet. Das Schloss durchlebte von da an eine wechselhafte Geschichte. Heute befindet es sich im Eigentum der PNF (Polnisch-Deutsche Stiftung Kulturpflege und Denkmalschutz). Die deutsche Schwesterstiftung DPS (Deutsch-Polnische Stiftung Kulturpflege und Denkmalschutz) begleitet alle Aktivitäten und wirbt vorwiegend in Deutschland um Spenden. Wolfram Jäger initiierte seit 2011 zahlreiche studentische Arbeiten zu Bestandsaufnahmen, möglichen statischen Lösungen und künftigen Nutzungsmöglichkeiten des Schlosses. Ab 2015 bezog er dabei das Mausoleum der Familie Lehndorff mit ein, erbaut 1855 nach einem Entwurf von Friedrich August Stüler. Auch dieses befand sich wie das Schloss selbst in einem bedauernswerten Zustand und war akut vom Einsturz bedroht. Ein besonderer Geburtstag des Professors im April 2016 wurde zur Spendenaktion für das Mausoleum – damit waren die ersten Eigenmittel für eine Förderung durch BKM (Bundesbeauftragte für Kultur und Medien) da, ein erfolgversprechender Antrag auf Fördermittel konnte geschrieben werden.
Der Zahn der Zeit hatte während der Geldsuche im Vergleich zu den ersten Bestandsaufnahmen und Planungen natürlich weiter an der Kapelle genagt. Wie sollten wir mit den bescheidenen Mitteln so viel wie möglich schaffen? Eine Firma mit den Arbeiten zu beauftragen, schied aus, zu vieles war ungewiss und das vorgesehene Geld reichte hinten und vorne nicht. In dieser Zeit flatterte Pauls Postkarte in unser Radebeuler Büro.
"Das wäre doch die Lösung!" ? sprach der Professor und wir malten uns bereits aus, wie die Zimmerleute auf der Walz den maroden Dachstuhl der Stülerschen Kapelle in Steinort retten. Paul, wir brauchen dich, wo bist du? In der Zwischenzeit lasen wir in der ‘Sächsischen Zeitung’ über seine zünftige Rückkehr nach der Wanderschaft im Juni 2017. Er musste natürlich noch überzeugt werden, wie sehr wir und das Mausoleum ihn und die Wandergesellen brauchten. Ein Brief mit passendem Foto von der hölzernen Dachkonstruktion appellierte an Pauls Zimmermannsehre. Es war schnell klar, dass hier eine besondere Aufgabe wartete, sodass im September 2017 Paul und Malte den weiten Weg nach Steinort antraten. Die ersten Wochen verbrachten die Gesellen in einer kleinen Pension, längerfristig konnten sie aber mit ihren goldenen Händen einen Raum im Ostflügel des Schlosses so herrichten, dass eine einfache Unterkunft zur Verfügung stand, die keine weiteren Kosten verursachte.
Der Dachstuhl des Mausoleums war eine echt harte Nuss, die es zu knacken galt. Leider konnte die Konstruktion nicht wie geplant ‘in situ’ saniert werden. Die Zink-Dachdeckung war über die Jahre gestohlen worden, die verbliebene Holzdeckung löchrig und nur noch zum Teil vorhanden, die Witterung hatte freien Lauf und es wuchsen zahlreiche kleine und größere Birken auf dem Dach. Es war ein Jammer, aber es führte kein Weg an einem Abbau und Transport der Dachkonstruktion zum Schloss vorbei. Dort konnten die verwendbaren Hölzer fachmännisch repariert und abgebunden werden. Eine große Herausforderung war die Demontage des großen und schweren Kaiserstiels und der gusseisernen Kugel. Unverzichtbare Hilfe dabei war immer wieder der örtliche Bauunternehmer Matthias Hohl. Sein Ideenreichtum half maßgeblich dabei, dass am 14.07.2018 – nach einem zweiten Einsatz der Wandergesellen im Frühjahr 2018 mit Paul, Malte, Marius und Vitus – Richtfest gefeiert werden konnte.
Natürlich war auch mit den folgenden Dachdeckungsarbeiten bis zum Frühjahr 2019 das Mausoleum noch nicht abschließend gesichert. Weitere Förderungen durch BKM sowie kleine und große private Spenden trugen dazu bei, dass heute das Wasser kontrolliert abgeführt wird, sowie angemessene Fenster und Türen das Gebäude vor Witterung und Vandalismus sichern. Im August 2021 konnte ein vorläufiger Abschluss der äußeren
Notsicherungsmaßnahmen gefeiert werden. Die noch fehlenden Arbeiten sollen in weiteren Jahresschritten vervollständigt werden.
Bei der Feier waren die Wandergesellen Maik, Aaron, Dionys und Andreas als Gäste dabei. Ihr Arbeitsplatz diesmal: das Schloss selbst, genauer gesagt der gewaltige Dachstuhl, der zum größten Teil original erhalten ist. Statisch notwendige temporäre Abstützungen machen die Konstruktion unübersichtlich, aber die Wanderburschen kamen schnell zurecht. Sie konzentrierten sich auf die Reparatur der Balkenköpfe an der Südfassade des Schlosses. Auf dem Papier war das alles erdacht, aber die Technologie dann tatsächlich umzusetzen, ist noch einmal etwas anderes. Da gab es einiges zu probieren und die Arbeitsschritte auszufeilen, bevor das Ergebnis passte.
Ein Highlight des Schlosses sind ohne Zweifel die polychrom bemalten Holzbalkendecken, von denen so viel Substanz wie nur möglich erhalten werden soll. Deshalb war ein behutsames Vorgehen bei allen Arbeiten wichtig.
Viele Balkenköpfe sind im Schloss noch zu reparieren. Doch der Anfang ist gemacht, die Technologie gefunden, die Machbarkeit nachgewiesen. Wer weiß, vielleicht kommen auch im nächsten Jahr wieder Handwerker auf der Walz nach Steinort? Inzwischen kann man ja schon fast von einer Tradition sprechen. Es würde uns freuen, dies fortzusetzen. Ich durfte am Tag des Abschieds dem Professor helfen, die Beurteilungen in die Wanderbücher zu schreiben.
Nun war es doch fast wie im Märchen! Dann wünschten wir allzeit fixe
Tippelei und unsere Wanderburschen zogen weiter.
Unser Dank für die gewiss nicht immer einfache Arbeit an Schloss und Mausoleum Steinort geht an Marius Wiener, Malte Urban, Vitus Mändli, Maik Jakobs, Aaron Bauer, Dionys Soder, Andreas Abt und Paul Neumann. Möge euch die Zeit in Masuren in guter Erinnerung bleiben und die Erlebnisse und Erfahrungen euer Leben bereichert haben.
Dieser Beitrag ist von Dipl-Ing. Anke Eis (Personal Assistance von Prof. Dr.-Ing Wolfram Jäger) und kommt aus dem BULLETIN Ausgabe 82.
Fotos: Freie Vogtländer Deutschlands und Team Prof. Jäger
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